HörMal

Das erste Gebot im Straßenverkehr ist achtsames und rücksichtsvolles Verhalten. Leider ist dies im Alltag nicht immer leicht umzusetzen. Häufig werden Situationen, in denen man achtsam handeln könnte, vom Fahrer nicht erkannt oder schlichtweg übersehen. Somit gilt es zunächst, die Gewahrwerdung solcher Situationen für den Fahrer zu erhöhen. Hat dieser die Handlungsmöglichkeit erkannt, so ist ihm aber nicht immer sofort klar, was zu tun wäre. Erschwerend kommt hinzu, dass ihm das Fahrzeug kaum die Möglichkeit zur Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmern bietet. Daher sind prosoziale Handlungsweisen in der entsprechenden Situation nahezulegen.

Prosoziale Assistenzsysteme haben das Ziel, dem Fahrer während der Fahrt prosoziale Handlungsweisen durch interaktive Technologien zur Verfügung zu stellen und nahe zu legen. Handlungsweisen sollen dabei nicht vorgeschrieben, sondern vielmehr als Möglichkeiten verstanden werden, positive und bedeutungsvolle Momente zu erleben.

HörMal ist ein Beispiel für ein solches prosoziales Assistenzsystem. Es adressiert Straßenabschnitte, die mit dem Gefahrenzeichen "Kinder" ausgewiesen sind. Diese Abschnitte befinden sich häufig in der Nähe von Schulen, Kindertagesstätten oder Spielplätzen. Der Fahrer muss hier in besonderem Maße auf spielende und die Straße überquerende Kinder achten. Tritt ein mit dem Konzept HörMal ausgestattetes Auto in einen durch das Gefahrenzeichen "Kinder" gekennzeichneten Bereich ein, so wird im Innenraum das Geräusch spielender Kinder hörbar. Hält man die vorgegebene Geschwindigkeitsbegrenzung von maximal 30 km/h innerhalb des Bereichs ein, bedanken sich die Kinder beim Verlassen des verkehrsberuhigten Bereichs mit einem abschließenden Applaus und Jubel.

HörMal dient dazu, dem Fahrer prospektiv die von ihm ausgehende potenzielle Gefährdung von Kindern vor Augen zu führen und ihn zum achtsamen Handeln anzuregen. Die über die gesamte Zeit im Gefahrenbereich abgespielten, ungerichteten Geräusche spielender Kinder, sollen über das Anpassen der Geschwindigkeit hinaus zum Umschauen animieren. Verhält sich der Fahrer rücksichtsvoll, so erhält er als Dankeschön, wenn auch virtuell eingespielt, ein Jubeln und Applaudieren der Kinder. Das Dankeschön ist hierbei ein wichtiges Element für prosoziales Handeln, das im regulären Straßenverkehr aus vielen Gründen kaum umgesetzt werden kann. In einer explorativen Studie konnten wir zeigen, dass HörMal achtsames Handeln im Sinne von vermehrtem Umschauen und Fokussieren von potenziellen Gefahrenbereichen fördert. Die Teilnehmer erlebten HörMal hierbei als positive Unterstützung. Darüber hinaus beschreibt einer der Teilnehmer, dass der simulierte Dank der Kinder ihm das Gefühl gab, etwas richtig gemacht zu haben.

HörMal ist also "moralisch" gesehen weniger neutral als ein rein informativer Warnhinweis. Es bezieht eine klare Position. Zusätzlich zu der Eindeutigkeit von Handlungsanweisungen ist die Wirkung von HörMal klar prospektiv – bevor man zu schnell oder unachtsam handelt – und nicht retrospektiv, wie ein Bußgeld. Die eingeblendeten Kinderstimmen sind also eine situierte Intervention, die nicht nur zu einer angepassten Geschwindigkeit, sondern außerdem zu einem allgemein achtsameren und prospektiven Handeln gegenüber schwächeren Verkehrsteilnehmern anregt. Natürlich wird es immer Egoisten im Straßenverkehr geben, denen ihr eigenes schnelles Vorankommen (erhofft durch den Schleichweg durchs Quartier, vorbei an der Grundschule) wichtiger ist, als ein unversehrtes Kind. HörMal macht es aber schwerer, die eigentlichen, möglichen Konsequenzen zu schnellen und unaufmerksamen Fahrens zu ignorieren. Allerdings, wie wir hoffen, ohne den gefürchteten "Zeigefinger", sondern als Anlass, sich auf die anderen Verkehrsteilnehmer einzulassen und dies als bedeutungsvoll zu erleben.